beim Expertenhearing zu Digitalisierung im Zusammenhang mit Kunst und Kultur


 

Zugegeben, auf den ersten Blick stellt sich die Frage, was hat Kultur mit den Digitalen Dörfern zu tun?

Doch auf den zweiten Blick wird klar, dass jegliche Strategie, die auf eine Revitalisierung oder den Erhalt vitaler ländlicher Regionen setzt, einen ganzheitlichen Ansatz benötigt, wozu die Verfügbarkeit und Produktion von Kunst und Kultur als ein elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge gehört. Aus ihnen erwächst Lebensqualität, Gemeinschaftsgeist und eine starke Identifikation mit dem Ort. Und anstelle einer Aufholjagd zu den städtischen Lebensverhältnissen zu treten, kann mit einer erfolgreichen Kulturpolitik eine selbstbewusste regionale Identität gepflegt werden. Eine unverwechselbare Heimat zu haben und dort bleiben zu können, das ist angesichts der Globalisierung und des demographischen Wandels nicht mehr so selbstverständlich und schützenswert.

Die Kultur- und Kreativwirtschaft boomt in Deutschland

Aber nur in den Großstädten

Warum?

Kommunale Kulturpolitik ist im ländlichen Raum personenabhängig und damit strukturell nicht gesichert, sondern zufällig. Das ist dramatisch, denn kreative Köpfe sind entscheidend für eine Revitalisierung der Region, deshalb muss Kultur auch für die Regionalentwicklung ein wichtiges Thema sein. Insgesamt fehlt es an konzeptionellen kulturpolitischen Überlegungen auf kommunaler Ebene:

  • Kulturschaffende zieht weniger aufs Land, weil es im Vergleich zur Stadt wenig kulturwirtschaftliche Unternehmen gibt und der ländliche Raum die kulturellen und intellektuellen Interessen des akademischen Milieus nicht genug bedienen kann
  • Kulturschaffende haben Probleme mit der geringen Bevölkerungsdichte und der fehlenden Infrastruktur, was z.B. Logistik, Kommunikation und Vernetzung angeht
  • Die wirtschaftliche Bedeutung der Kulturpolitik wird so gering eingeschätzt, dass häufig politischer Gestaltungswille und damit auch das Budget fehlt.
  • Problemeinschätzung bei den Entscheidern: Kultur ist Hochkultur und nichts fürs Dorf – Breitenkultur ist Ehrenamt.

Wie setzt hier einer der entscheidenden Trends dieser Zeit an, die Digitalisierung?

Digitalisierung verändert auch die Kunst- und Kulturproduktion, -distribution und -rezeption grundlegend. Originale sind längst nicht mehr von einer Kopie zu unterscheiden und Kulturgüter können binnen Sekundenschnelle verbreitet werden. Digitalisierung bietet die Chance:

  • das kulturelle und geistige Erbe der Menschheit allen zugänglich zu machen, zu bewahren und zu vermitteln, so z.B.:
    • die Bestände von Bibliotheken, Archiven, Museen, Mediatheken sowie Kulturdenkmale online zugänglich zu machen, Datenbanken intelligent zu verknüpfen und mit interaktiven Nutzerprofilen neue Formen der Auseinandersetzung anzubieten.
    • im Sommer 2008 konnte erstmals eine Oper live aus dem Bayreuther Festspielhaus online gebucht werden. Ende 2008 eröffneten die Berliner Philharmoniker ihre Digital Concert Hall.
  • für neue Formen der Zusammenarbeit und Beteiligung, wie z.B. über Crowdsoarcing, z.B. Europeana 1914-1918 oder Newpalmyra
  • für neue Ausdrucksformen: Digitalisierung kann Kultureinrichtungen sowie Künstlerinnen und Künstler bei ihren Aufgaben unterstützen bzw. ihre Ausdrucksformen erweitern
  • Märkte global zu erschließen und zu nutzen sowie Kulturgüter und -dienstleistungen weltweit zu distribuieren
  • für neues Erleben und Perspektiven, so z.B. das Projekt Refrakt

Natürlich dürfen auch die Herausforderungen nicht verschwiegen werden, die mit der Digitalisierung einhergehen, wie z.B.:

  • das Urheberrecht/geistiges Eigentum: Immer wieder im Mittelpunkt steht die Frage, inwieweit die Privatkopie zulässig sein soll und wie die Vergütung der Urheber und Rechteinhaber gewährleistet werden kann.
  • wenn bereits jetzt die jüngeren Menschen vor allem das Internet und erst an zweiter und dritter Stelle Fernsehen und Radio nutzen, muss der öffentlich-rechtliche Rundfunk seine Ausdrucksformen und Medien anpassen, um nicht in einigen Jahren von seinen Nutzern abgeschnitten zu sein
  • Insbesondere der stationäre Handel muss sich gegen die Konkurrenz z.B. börsennotierter amerikanischer Online-Versandhändler behaupten und hier schließt sich wieder der Kreis zu den Digitalen Dörfern.